Einführung
Das kleine verwunschene Landhaus am See ist mit Rosen umrankt, die Nachmittagssonne hat es in ein goldenes Licht getaucht. Die Bienen summen und im blühenden Vorgarten zwitschern die Vögel. Es riecht herrlich, der Duft kommt aus der Küche. Man sieht eine junge Frau durch die Butzen-Scheibe, sie backt frisches Brot in einem Blumenkleid. Später wird sie zum Markt geht und dann aus dem Wachs ihrer eigenen Bienenstöcken Kerzen für einen lauschigen Abend vor dem Kamin drehen. Das Landleben kann so schön sein!
Cottagecore wird zum Hype
Die beschriebene Idylle ist eine Flucht aus der modernen Welt, die seit wenigen Jahren ihren Trend im Internet feiert. Auf Tumblr tauchte die Sehnsucht nach dem Landleben etwa im Jahr 2018 als neuer Jugendkult auf, wenig später hat das Phänomen auch einen Namen: Cottagecore.
Mädchen mit Blumenkränzen im Haar, romantische Picknicks, junge Männer auf dem Feld, die hart arbeiten und dann ein Pferd tätscheln. Unter Cottagecore finden sich unzählige Fotos und Videos auf TikTok, Tumblr, Instagram, Pinterest und YouTube. Das Ganze ist etwas kurios, da das Lifestyle-Konzept ein Leben vor Hunderten von Jahren glorifiziert. Verbreitet wird es aber durch Mobiltelefone, das Internet und Highspeed-DSL.
Auch bei Airbnb zeigt sich der Trend deutlich. Immer mehr Anbieter versprechen genau dieses Idyll, um sich die Flucht aus dem Alltag zumindest für ein Wochenende zu gönnen.
Wir stehen plötzlich auf Romantik
Doch woher kommt das? Früher hatte die Jugend ihr Vorbilder in der Kultur, der Mode und der Musik – heute ist es das Internet. Es formt unsere Gesellschaft und erzeugt neue Ästhetiken. Aktuell ist eine davon Cottagecore, denn unser Alltag ist durch die Pandemie oft von Angst, Einschränkungen und Stress geprägt. Die Suche nach einem Rückzugsort, der vor allem eine heile, glückliche und entspannte Welt verspricht, ist für viele ein virtueller Traum, der das Leben in den eigenen vier Wänden erträglicher macht.
Die Sehnsucht nach Ruhe
Die Flucht aufs Land aber an sich ist nicht neu. Die Sehnsucht nach der heilen Bauernidylle kommt in den letzten Jahrhunderten wahrscheinlich meistens durch einen Alltag, der die Menschen überfordert. Dichter haben schon in der Renaissance und im Barock das Hirtenleben im bukolischen Raum glorifiziert. In der Romantik sind Adelige im Sommer auf Bauernhöfe gereist, um ein „einfaches Leben“ zu führen. Und auch in den 70er-Jahren gab es diese Bewegung wieder. Kommunen wurden gegründet, Latzhosen kamen in Mode und man wünschte sich ein Leben fern von der Gesellschaft.
Wer aber jemals wirklich ein Landleben geführt hat, weiß, dass es weder romantisch noch entspannt ist. Zeit für Blumenkränze? Weiße Kleider? Und wer kann sich das alles eigentlich leisten? Aber bei aller Kritik an Cottagecore, der Traum von einem schönen Leben in einer Idylle ist halt ein Traum, aber einen, den wir gerne träumen und sei es nur im Internet.